Der geschlüpfte Weinschwärmer

Die schönste Geschichte dieses Sommers

im Naturtagebuch von Nafoku am 08.08.2000

erzählt von C-Boy aus Merdingen

Sommer 1999 - DER FUND:

Meine Eltern besitzen in Merdingen ein paar Ar Reben. Und wie es Reben so an sich haben, bereiten sie nicht nur im Herbst zur Weinlese viel Freude, sondern müssen auch das ganze Jahr über gepflegt werden. Zum Beispiel werden besonders lange Triebe, die oben aus der Laubwand herausragen, abgeschnitten. Teils wird so etwas maschinell gemacht, unsereiner mit den paar Ar macht das mit einer großen Hecken- bzw. Rebschere. Da ich der Größte (Körpergröße) in der Familie bin, beauftragen meine Eltern gerne mich mit dieser Tätigkeit.

Auch diesen Sommer wurde mir diese Verpflichtung übertragen, der ich an einem Wochenende Ende August oder Anfang September nachkommen musste.

So war ich gerade dabei, unsere "Roten" (Spätburgunder, dafür ist Merdingen ja bekannt) zu stutzen, als ich etwas Ungewöhnliches in der Laubwand entdeckte. Da saß eine dicke grüne Raupe in den Rebblättern, die sie bereits angefressen hatte, und schien sich, aufgeschreckt durch die Erschütterung, noch größer und dicker machen zu wollen.

Eigentlich kenne ich mich kaum mit Insekten aus, aber ich fand die Raupe mit ihrem Gebaren doch so interessant, dass ich beschloss, den Trieb, auf dem sie saß, heraus zu schneiden und neben mein Fahrrad zu legen. Nachdem ich meine Schneidearbeit erledigt hatte, saß die Raupe glücklicherweise immer noch auf dem Trieb, so dass ich sie mit nach Hause nehmen konnte.

WER BIST DU:

Ein Freund von mir ist ein engagierter Winzer und weiß sehr viel über die Reben und die damit zusammenhängende Tier- und Pflanzenwelt. So fuhr ich mit der Raupe zu ihm, in der Hoffnung zu erfahren, um welches Tier es sich bei meinem Fund handelte.

Nach einem Blick in eines seiner "schlauen" Bücher war mein Freund sich sehr sicher, dass es sich um einen Weinschwärmer handeln musste. Wir gingen davon aus, dass es ein großer Weinschwärmer (Hippotion celerio) wäre, was sich später aber als falsch erwies.

Mein Freund, der viele Schriftstücke sammelt, die vom Weinbau handeln, zeigte mir auch einen Zeitungsausschnitt, in dem mehr über der Weinschwärmer zu erfahren war. Es wurde beschrieben, wie er sich entwickelt und was ihm in seinen Lebensphasen als Nahrung dient. Ebenso wurde erwähnt, dass Weinschwärmer bei uns (Süddeutschland) nicht überwintern können.

Das fand ich sehr schade, denn nach den Bildern würde sich die Raupe zu einem eindrucksvollen Falter entwickeln. Um ihr das zu ermöglichen, nahm ich mir vor, sie bei mir in einem großen Behältnis aufzubewahren und im Winter in den Keller zu stellen, damit sie überwintern kann. So legte ich sie samt dem Rebzweig, auf dem ich sie gefunden hatte, in einen großen Kübel (ca. 50 Liter), den ich zuvor etwa 10 cm mit Erde füllte. Den Kübel deckte ich mit einem alten Getreidesieb ab und beschwerte dieses mit einem größerem Stein. So konnte die Raupe nicht entwischen und vor eventuellen Nagetieren war sie auch geschützt.

RAUBTIERFÜTTERUNG:

Damit es der Raupe auch an nichts fehlte, hatte ich mir bei meinem Freund die Namen der Futterpflanzen aufgeschrieben und suchte diese am darauf folgenden Sonntag im nahegelegenen Wald und auf dem Weinberg. Ich versuchte Weidenröschen, Labkraut, Weiderich und Springkraut anhand eines Pflanzenbuches zu identifizieren. Einige glaubte ich gefunden zu haben und nahm etwas davon mit, um sie "meinem" Weinschwärmer anbieten zu können. Ich legte ihm auch immer wieder neues Reblaub in sein "Gehege" und entsorgte das verwelkte. Das machte ich immer sehr behutsam, um die Raupe nicht unnötig in Panik zu versetzen. Ich musste natürlich auch darauf achten, wo sie saß, damit sie in ihrem Gehege blieb und nicht mit den verwelkten Pflanzen auf dem Kompost landete. Da die Raupe Ausscheidungen (Form wie Spritzgebäck) hinterließ, ging ich davon aus, dass sie auch etwas von der angebotenen Nahrung aufnahm.

VERSTECKLES:

Einige Wochen nachdem ich sie gefunden hatte, verkroch sich die Raupe in einem Büschel ausgetrockneter Vogelmiere, die mit der Erde in den Eimer gelangt war. Außerdem sah sie viel dunkler aus als vorher, und ich befürchtete, dass es ihr schlecht ging oder sie sterben könnte. Doch ich wusste nicht, was ich hätte machen sollen. So säuberte ich ihr "Gehege" gründlich von Unrat (angewelktes Reblaub, Ausscheidungen, ...) und legte die nach meiner Ansicht frischesten und saftigsten Rebblätter hinein, die ich finden konnte, in der Hoffnung, dass es noch nicht zu spät war.

Nach einer weiteren Woche stellte sich aber heraus, dass sie sich bereits verpuppte. So entfernte ich das unnütz gewordene Reblaub wieder und wartete ab, was passieren würde.

Winter 1999 - WINTERQUARTIER:

Als es im November merklich kälter wurde, steckte ich die Raupe, die nun eine Puppe war, in eine mit etwas Erde gefüllte Dose und stellte sie in unseren Keller. Den Deckel legte ich nur leicht darauf, so dass noch etwas Luft hinein kam. In die Wohnung wollte ich die Puppe nicht nehmen. Da ich mit Holz heize und ich unter der Woche nur morgens und abends zu Hause bin, kann ich somit auch nur in dieser Zeit Holz nachlegen. Daraus ergeben sich in meiner Wohnung den Winter über grosse Temperaturschwankungen, welche die Entwicklung der Raupe (bzw. Puppe) sicher gestört hätten. Die gleichmäßige Kellertemperatur, die sicher nicht unter +4 °C fiel, war sicher besser. Wenn ich nach ihr sah, bewegte sie auch gelegentlich ihr Hinterteil, was mich freute, da es ja ein Zeichen dafür war, dass sie noch lebte.

WINTER ADE:

Der Jahreszeit entsprechend wurden die Tage merklich länger und die Temperaturen angenehmer, so dass ich den Weinschwärmer bald wieder hätte aus dem dunklen Keller holen können. Allerdings war mir die Dose, in der er jetzt steckte, zu klein, um ihn darin schlüpfen zu lassen. Der Kübel vom letzten Herbst erschien mir hingegen wieder zu groß, um ihn an kalten Tagen schnell in den Keller zu stellen. So suchte ich nach einer mittelgrossen Kiste, die ich auf den Tisch auf meiner Veranda stellen konnte.
Ich hielt ein altes hölzernes Radiogehäuse für geeignet und fertigte als Deckel ein Holzrähmchen an, das ich mit einem Stück Nylonstrumpf bespannte. Jetzt konnte ich den Weinschwärmer betrachten, ohne den Deckel zu öffnen.

NUN WILL DER LENZ UNS GRÜSSEN:

Für die Umquartierung hatte ich eine rechteckige Plastikschale (vom Erdbeerverkauf) gerichtet und mit etwas Erde gefüllt, so dass die Puppe nicht auf dem blanken Holzboden des Radiokastens lag. Ich legte die Puppe in die Schale und stellte diese in die Holzkiste.
Wenn ich von Zeit zu Zeit nach ihr schaute, lag sie immer etwas anders drin, und so wusste ich, dass sie sich bewegt hatte. Als sich aber eine Zeit lang nichts mehr tat, zweifelte ich wieder daran, dass sie den Winterschlaf unbeschadet überstanden hatte. Ich nahm sie heraus und drehte sie in der Hand herum, aber sie bewegte sich nicht mehr. Es waren auch ein paar kleine helle Flecken an einer Seite zu sehen. So ging ich davon aus, dass sie doch nicht überlebt hatte, und die Flecken von einem Schimmelpilz her rührten. Vielleicht war der Keller zu feucht gewesen und sie war an einer Pilzkrankheit eingegangen. Betrübt legte ich die Puppe in die Kiste neben die Schale. Den Deckel lies ich daneben liegen, denn eine tote Puppe schlüpft ja nicht mehr. Wahrscheinlich lag es an meiner Faulheit, dass ich alles stehen ließ und nicht die Erde auskippte und die Schale wegräumte oder die Puppe weg warf.

ZUM GEBURTSTAG:

Da ich an meinem Geburtstag (weiblichen) Besuch erwartete, sollte meine Wohnung in einem besonders ordentlichen Zustand sein, deshalb begann ich aufzuräumen und zu putzen.
Da die Kiste mit der Puppe immer noch da lag, wollte ich sie endlich wegräumen. Doch als ich Puppe in die Hand nahm erschrak ich sehr und ließ sie vor Schreck auch gleich wieder fallen. Eigentlich hatte ich sie für tot gehalten, doch als ich sie eben in den Fingern hielt, hatte sie sich bewegt. Dieses überraschende Lebenszeichen war natürlich ein Anlass zur Freude, und ich legte die Puppe wieder zurück in die Schale und verschloss das Radiogehäuse auch wieder mit dem bespannten Rahmen.

Ende Mai 2000 - WARTEN AUF GODOT:

Eigentlich dachte ich, dass der Weinschwärmer Anfang bis Mitte Mai schlüpft, aber den Gefallen tat er mir nicht. Ich hatte ihm auch schon blühende Gescheine (Entwicklungsstufe der Weintraube) in die Schale gelegt, in der Hoffnung, er riecht sie durch den Puppenkokon und wird zum Schlüpfen animiert, aber auch das war vergebens. Ich hatte mir auch schon den Kopf zerbrochen, ob und wie ich ihn fotografieren lassen könnte und hatte sicher schon ein paar Bekannte genervt. Ich selbst habe mich wegen anfänglich schlechten Erfahrungen nie intensiv mit Fotografie befasst.

DIE FOTOGRAFIN:

Nach dem nun der Schwärmer partout nicht schlüpfen wollte, machte ich mich im Internet auf die Suche nach Informationen über eben solche (hätte ich schon längst mal machen können). Eine der ersten Seiten, die ich mit der Suchmaschine fand, war eine Natur- und Fotokunst-Seite (nafoku): "Digitale Natur-Photographie rund um Freiburg." Was? Freiburg? Was für ein Zufall! Hoffentlich wohnt die Fotografin auch noch hier in der Nähe, dann könnte ich vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe erwischen, denn zum einen hätte ich jemanden, der sich im fotografieren von solch kleinen "Objekten" auskennt, und zum anderen weiß sie vielleicht etwas über Weinschwärmer.

Jedenfalls habe ich ihr gleich mein Anliegen gemailt und war ganz überrascht, als ich kurz darauf schon die Antwort hatte: ":o)) Natürlich hab ich Lust, einen Weinschwärmer vor die Linse zu bekommen."

Pfingsten 2000 - HALLO DA BIN ICH:

Sabine, die Fotografin, und ich haben uns einige Mails geschickt, es war uns aber noch nicht richtig klar, wer wie zu wem kommt, wenn es soweit ist und der Weinschärmer schlüpft.

Am Pfingstsonntagmorgen schaute ich nach der Puppe doch ich konnte keine Veränderung entdecken. Das Wetter lud einen auch nicht zu einem Sonntagsausflug ein, und so setzte ich mich an meinen Computer und werkelte dort den ganzen Tag vor mich hin. Am Abend bekam ich noch mal Hunger und ging hinunter in die Küche um etwas zu essen. Bevor ich die Haustüre verschloss, sah ich noch mal kurz nach dem Weinschwärmer. Doch was war das? Da flatterte ja etwas in der Kiste umher! Kein Zweifel: das war mein Weinschwärmer, der wohl kurz vorher geschlüpft war. Jetzt war Eile geboten, damit er nicht unnötig lange eingesperrt sein musste.

Glücklicherweise hatte ich Sabines Telefonnummer schon herausgesucht und rief sie sofort an. Da aber das Besetztzeichen ertönte, ging ich davon aus, dass sie online war (bzw. sich ins Internet eingewählt hatte). Also habe ich ihr gleich gemailt. Kurz darauf bekam ich sie dann doch noch ans Telefon, und wir verabredeten uns auf den Montagmorgen. Der Weinschwärmer musste sich eben noch ein klein wenig mit seiner Lage abfinden.

FOTOTERMIN:

Nachts war ich noch ein paarmal wach geworden und habe nach dem Schwärmer geschaut, der ja als nachtaktives Tier jetzt sicher gerne seine Flügel ausprobiert hätte.

Am Morgen legte ich die Kiste behutsam ins Auto und fuhr zu Sabine. Ich hatte auch noch ein Stück Holz und ein paar Rebblätter mitgenommen, damit ich sie als Kulisse für die Bilder einsetzen konnte. Da der Weinschwärmer sich jetzt, bei Tag, sehr ruhig verhielt, vermutlich sehen Weinschwärmer tags auch nichts, hatte Sabine genug Zeit, um viele schöne Bilder zu machen. Es war jetzt auch offensichtlich, dass es "nur" ein Mittlerer Weinschwärmer (Deilephila elpenor) war und kein Großer (Hippotion celerio), aber er war so schön und farbenprächtig, dass mir das egal war.

Ich war sehr froh, dass es mit dem Fotografieren geklappt hatte, so hatte ich jetzt mehr als nur die Erinnerung an diese Tage.

LETZTER TAG:

Am Mittag kam noch mein Freund (s.o.) bei mir vorbei, und so konnte ich ihm den geschlüpften Weinschwärmer auch noch zeigen. Ich war spät nachmittags noch bei ihm, und wir haben mit anderen Freunden zusammen bei ihm gegrillt. Ich war sehr stolz, die ersten Bilder vom Weinschwärmer zeigen zu können.

FREIHEIT:

Als ich gegen Abend nach Hause kam, musste ich den Weinschwärmer wieder freilassen. Dazu fuhr ich mit ihm in den Weinberg, denn dort hatte ich ihn schließlich auch gefunden. Da sich dieser wohl nicht gleich so recht getraute los zu fliegen, dauerte es fast zwei Stunden, bis ich wieder nach Hause kam. Zu Hause schaltete ich noch mal den Computer an und mailte an Sabine:
Betreff:     =:?     Abschied...
... von (meinem) Schwärmer.

Hallo Sabine.
Ich habe eben dem Weinschwärmer seine Freiheit zurück gegeben.

Ich bin mit der Kiste auf den Berg an ein Wegkreuz mit vielen Blumen gestrampelt, und habe sie dort geöffnet. Vielleicht war der Mond zu hell, oder der Weinschwärmer war von der Fahrt noch verwirrt, denn er rührte sich nicht. Deshalb habe ich mich mit der Kiste zwei Meter weiter in den "Schatten" gesetzt und habe wieder gewartet.

Ich war schon am Einschlafen, als ich von einem Brummen, wie es von einem mehrere Meter entfernten Mofa zu hören ist, aufgeweckt wurde. Ich wollte mich umschauen, wer da jetzt kam, als ich merkte, dass der Schwärmer gerade an mir vorbei in die Dunkelheit flog. Ich meinte diesen Ton noch einmal zu hören, aber aus welcher Richtung konnte ich nicht mehr feststellen. Ich hoffe, dass er sich nicht auf die warme Straße setzt, und vom nächsten Auto überfahren wird.

Im Gedanken habe ich ihm "Good luck" hinterher gerufen und wünsche ihm, dass ihn keine Fledermaus zu fassen bekommt. Zu gerne hätte ich für einen Moment mit ihm getauscht, um mal schnell "eine Runde" zu fliegen. Ich habe übrigens den "Deckel" der Puppenhülle noch gefunden. Jetzt kann ich sie, wenn sie ausgetrocknet ist, mit Wachs füllen und "zukleben"...

Liebe Grüße (und gute Nacht),

C-Boy     =:?
 

DANKE:

Mein Dank gilt meinem Freund, der sich immer Zeit nimmt, wenn ich etwas brauche. Er hat mir aus seiner Sammlung von Prospekten die entsprechenden Artikel herausgesucht, so dass ich den Weinschwärmer den Herbst über gut versorgen konnte.

Ich danke auch meiner Schwester fürs Korrekturlesen dieses Textes, denn es waren viele Fehler die sich eingeschlichen haben (Ich habe die schlechten Noten in der Schule scheinbar doch verdient).

Mein herzlichster Dank gilt Sabine ^..^ (das Fliegerle), die so nett war und sich spontan bereit erklärt hat, den Weinschwärmer für mich zu fotografieren. Es hat mich auch riesig gefreut, als sie ein Bild von ihm auf ihre Seite "Foto des Tages" gestellt hat. Außerdem war sie es, die mich dazu gebracht hat, diese Geschichte aufzuschreiben. Viel Geduld musste sie auch haben, bis ich die Geschichte endlich fertig hatte, aber ich hoffe, ihr Warten hat sich gelohnt.

:-)) Hallo C-Boy!
Ja, mein Warten hat sich gelohnt! ***freu***
Für mich ist das die schönste Geschichte aus diesem Sommer...

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